flying home

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Treffpunkt: Haltestelle Lochergut, Zürich
Route: Wir spazieren ohne genaues Ziel. Zuerst auf der Sihlfeldstrasse Richtung Bullingerplatz. Dann ein Richtungswechsel: Wir wollen zum Friedhof.
Also zurück Richtung Lochergut, dann Berta-, dann Aemtlerstrasse.
Beim Friedhof Sihlfeld gehen wir im Zickzack rein und raus, durch die verschiedenen Bereiche, durch die Schrebergärten, dann durch die Stadtgärtnerei.
Wir enden wieder beim Lochergut.

Christian, SBB-Projektleiter und Gesprächspartner in Bezug auf’s Reisen und die Rückholaktion des Bundes: #flyinghome. James Bantone fotografiert. Marta Piras interviewt.

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MP: Wohin? Ist hier in der Nähe nicht der Friedhof?

C: Ne, der Friedhof ist in die andere Richtung. Sollen wir zum Friedhof gehen? Der Friedhof ist toll. Lass uns zum Friedhof gehen.

MP: Als ich dich für das Interview anfragte als Gesprächspartner über's Reisen und um über die Rückholaktion des EDAs zu erzählen, wusste ich noch nicht, dass du bei der SBB arbeitest. Das passte dann extrem gut in das Bild des «Reisenden». Hängt das zusammen, dein Beruf bei der Bahn und deine Reise-Leidenschaft?

C: (lacht) Diese Frage hat mir noch nie jemand gestellt. Die meisten fragen, zum Spass, ob ich Lokführer sei und wenn ich klargestellt hab, dass ich Projektleiter bin, ist die zweite Frage: Krieg ich ein vergünstigtes GA? Oder kann man sich bei dir über Verspätungen beschweren? Ne, es gibt keinen direkten Bezug zwischen meinem Job bei der SBB und meinem Hobby, meiner Leidenschaft: dem Reisen.

MP: Deine letzte Reise musstest du aufgrund der Corona-Pandemie abbrechen. Wie lief das alles ab?

C: Ich bin am 11. März nach Panama geflogen, um einen Freund – einen ehemaligen Studienkollege von mir – zu besuchen. Ich hab mir gedacht: In Zentralamerika gibt es viel, viel weniger Corona-Fälle als in Europa. Dass eventuell Flüge gestrichen werden könnten, das war noch unvorstellbar an diesem Datum. Das Thema «Corona» war in den Medien schon sehr präsent, aber es gab noch keine globalen Reiseeinschränkungen. Corona wurde, zumindest in der Schweiz, noch nicht als «ersthafte» Gefahr für die normale Bevölkerung» wahrgenommen. Einige Tage später, sah das schon ganz anders aus: Die USA hatten die Grenzen von einem Tag auf den anderen geschlossen, alle Flüge wurden gestrichen und der Ausnahmezustand ausgerufen.

Mein Kollege und ich sind dann ziemlich bald nach Costa Rica, weil es hiess, dass Panama die Grenzen dicht machen würde. Die Informationen waren total vage. Aber innerhalb von ein, zwei Tagen haben sich alle europäischen Tourist*innen nach Costa Rica hinüber bewegt.

Es gab bei den Reisenden zwei Arten von Reaktion auf die Lage: Die erste war Angst. Viele Menschen wollten nur noch nach Hause. Einmal wurde ich angeschrien: «Don’t touch me, don’t touch me!»

Andere empfanden es eher als Chance, in dieser Zeit unterwegs zu sein: Endlich weniger Touristen. Ursprünglich hatten wir auch den Plan gefasst, in Costa Rica zu bleiben, bis sich die Situation entspannt.

MP: ich denke immer, ich kenn Zürich ganz gut, aber hier war ich noch nie. Kein Plan wo wir sind. So schön, ich habe mich schon verlaufen.

C: Ich auch, wie du merkst.

MP: Verirrst du dich gern?

C: Ich bin von Natur aus ein Explorer. Ich muss bei meinem Job als Projektleiter schon genug planen. In der Freizeit möchte ich meine Tage nicht im Voraus genau durchplanen. Es ist unglaublich entspannend, wenn man sich in seiner Freizeit treiben lassen kann.

C: Was cool war: In Costa Rica haben wir die National Parks besucht. Hängebrücken, Wasserfälle... und alles war menschenleer! Die Wege in den Parks sind für Massen von Touristen angelegt. Aber wir waren ganz allein da.

MP: Also war es eigentlich, wie du sagtest, für Entdecker*innen der beste Moment zum Reisen?

C: Ja, also ... der Beste nicht, nein. Aber die leeren Nationalparks waren schon toll. Ist auf jeden Fall eine Geschichte, die man seinen Kindern erzählen kann. Während Europa im Lockdown war, haben wir in Costa Rica in Wasserfällen gebadet und hatten den ganzen Strand für uns. Die karibischen Strände von Costa Rica sind schon unglaublich schön...

MP: Hier war ich übrigens auch noch nie.
C: Ach, das ist die «Stadtgärtnerei»! Wie schön. Ich war auch noch nie hier.
MP: Wow, wir verlieren uns in Zürich. Es ist ja alles tropisch angelegt hier... dort stehen Palmen. Und diese Pflanzen sehen wie Wüstengewächse aus… Jetzt haben wir uns aus Versehen in eine fremde Flora und Fauna hineinbegeben. Passt!

Im Park sonnen sich, in einem Flüsschen, drei Schildkröten.

C: Zu Beginn war ich eigentlich relaxt. Aber irgendwann hab ich schon gemerkt, 10'000 km von zu Hause entfernt, wenn keine Flüge mehr gehen... das beunruhigt mich doch sehr. In diesen Tagen wurde das Rückholungsprogramm, des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten gestartet, #flyinghome.

Ich habe mir die APP des EDA heruntergeladen. Die Weisung war, dass man sich unbedingt registrieren müsse. Tagelang hat man nicht gewusst, ob man zurückkommt, wie man zurückkommt. Dann schlussendlich kam eine Mail: In 24 Stunden gibt’s einen Flug, Direktflug nach Zürich. Den konnte ich dann auch buchen! Nicht ein billiger Flug zwar, den musste man selber bezahlen. Aber es war eine Notsituation. In den Tagen zuvor waren die Buchungssysteme der Fluggesellschaften total überlastet und deren Hotlines auch. Manche Touristen haben aus Verzweiflung Flüge für über CHF 2000.- gekauft. Mit den verrücktesten Flugverbindungen.

Und da hab ich gemerkt, krass: Jetzt bin ich schon sehr erleichtert! Vor allem war es ein Direktflug... was für ein Luxus. Ich war schon happy, dass das EDA diese Rückholaktion organisiert hat!

Im Flughafen war die Erleichterung wirklich spürbar. Es ist zwar alles einigermassen chaotisch und unorganisiert abgelaufen. Auf meinem Ticket stand zum Beispiel das falsche Datum. Sonst passieren solche Sachen natürlich nicht. Dass ein falsches Datum auf dem Boardingpass steht. Das ist man sich nicht gewohnt. Da merkt man, was für eine aussergewöhnliche Situation vorlag. Also die Weltordnung war wirklich gestört.

C: In der Schweiz zurück bin ich ganz smooth durch den Zoll gekommen. Die Rückkehr in die Schweiz habe ich mir viel schlimmer vorgestellt, als sie wirklich war. Ich dachte, es wäre eine viel grössere Polizei- oder Militärpräsenz auf den Strassen. In den Medien wurde von «kriegsartigen Zuständen» berichtet, Bilder von menschenleeren Strassen in den Städten.

Ich hab dann gesehen, so schlimm ist es gar... Nein... anders: Ich habe es mir viel schlimmer vorgestellt.

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