Juchhof

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Treffpunkt: Juchstrasse 27, Juchhof. Besetztes Areal seit Oktober 2019. Ebenerdige Holzbaracken, umgeben von einem Zaun.
Route: In den Juchhof hinein. Pause. Dann ins Gemeinschaftsgebäude. Pause. Dann in das im Originalzustand belassene Gebäude. Pause. Dann auf das Fussballfeld. Pause.

Zwei besetzende Aktivist*innen, anonymisiert durch die Buchstaben X und Y. James Bantone fotografiert. Marta Piras interviewt.

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X: In vier Tagen wird das Areal wahrscheinlich geräumt. Der Garten ist schon umgezogen.

MP: Wie zieht man denn einen Garten um?

X: Es war noch kaum etwas gepflanzt. Die Töpfe sind weg, und das Treibhaus wurde irgendwo anders neu aufgestellt.

MP: Was wird sonst noch wegkommen?

X: So viel wie möglich. Der erste Räumungsbefehl kam am 20. April. Wir hatten eine Frist von vier Tagen. Nun haben wir eine Verlängerung von einem Monat aushandeln können. Mal sehen, was jetzt passiert.

Wir sitzen in einem grossen, bunt dekorierten Raum mit Siebdruckpresse, Werkzeug und Sitzbänken.

MP: Warum soll der Juchhof eigentlich abgerissen werden?

X: Das ZSC-Stadion wird nebenan gebaut. Das Juch-Areal soll als Bauplatzerweiterung dienen, als LKW-Wendeplatz. Wir haben angefangen, die wertvollen Sachen abzutransportieren. Morgen müssen wir diese Wand hier rausreissen, um die Siebdruckpresse rauszubringen. Wir hatten die Wand schon mal rausgerissen, um sie reinzubringen. Dann nochmals raus und wieder rein, als wir den ersten Räumungsbefehlt bekommen hatten, vor ungefähr einem Monat. Die Baracken sind aus Bausätzen zusammengesteckt. Man kann sie ganz einfach auseinandernehmen und wieder zusammensetzen.

MP: Was war der Juchhof, bevor er besetzt wurde?

X: Eine sogenannte Notunterkunft für geflüchtete Menschen, seit 2006. Ursprünglich waren hier sieben Holzbaracken. Vier mussten schon weg, um dem Eishockeystadion Platz zu machen.

Erbaut wurden sie 1962, um Gastarbeiter*innen unterzubringen. Sie lebten in diesen Baracken und zahlten ihrem Arbeitsgeber Miete. Ihre Pässe wurden Ihnen entzogen und sie konnten nirgendwo hin. Dieses Gebäude wurde gebaut, um Menschen zu kontrollieren und zu unterdrücken und so wurde es genutzt, über fast 60 Jahre, fast 60 Jahre lang.

Zuerst als Unterbringung für ausgebeutete nichtschweizerische Arbeiter*innen, weit ausserhalb der Stadt. Dann, während sich die Stadt nach und nach dem Juch näherte, für Geflüchtete Menschen. Ab 2017 wurde es als Testzentrum für die Bundesasylzentren genutzt. Sie haben hier getestet, welche Praktiken am Besten funktionieren, um Menschen zu disziplinieren und einzusperren.

MP: Wann habt ihr das Areal besetzt?

X: Am 31. Oktober 2019.

MP: Wie war es hier, als ihr das Areal besetzt habt und was habt ihr verändert?

X: Hier in dieser Baracke, in welcher wir jetzt sitzen, haben wir extrem viele Trennwände rausgerissen, damit man mehr Raum hat zum Atmen. Ihr werdet es sehen, wenn wir nachher im anderen Gebäude sind: Früher waren hier viele kleine Zimmer, 2 auf 2 Meter. Zwei Menschen pro Zimmer. Manchmal mehr.

Als wir rein sind, war es hier ziemlich leer. Nur ein paar Feuerlöscher, ein paar Tische und Bänke. Ein paar Zeichnungen an den Wänden, ein paar Poster. Ein paar Schilder auf denen stand, was den vorangehenden Bewohner*innen alles nicht erlaubt war. Bunt bemalt waren die Baracken schon. Von uns sind die schlechten Tags.

MP: Darf man hier drin rauchen?

X: Ja.

MP: Weil es so viele Feuerlöscher gibt.

X: Ne, weil wir alle Feuermelder abmontiert haben...

MP: Und wohin wurden die Menschen gebracht, die vorher hier untergebracht waren?

X: Zum Teil ins Bundesasylzentrum Embrach, zum Teil nach Oerlikon ins Durchgangszentrum und dann von dort aus ins Bundesasylzentrum Duttweiler.

MP: Wir wechseln den Raum, ok?

X: Ja

MP: Ich komme nochmals auf eine Frage von vorhin zurück. Abgesehen vom Rauchmelder und Wände rausreissen – was sind die strukturellen Änderungen die ihr gemacht hab, um die Stimmung des Ortes zu ändern oder gar zu überschreiben?

X: Ein Riesenunterschied ist, dass Menschen sich jetzt frei bewegen können. Rein und raus gehen. Kommen und gehen. Vorher gab es klare Zeiten, zu denen man rausdurfte oder zurückkommen musste. Man musste sich an- und abmelden. Besuch zu empfangen von aussen war schwierig und irgendwann gar nicht mehr erlaubt... Jetzt ist das Tor offen… Alles ist offen. Es gibt keine Securities...

Aber im Vergleich zu den aktuellen Massnahmen, die im Duttweiler-Areal angewendet werden, war das hier ein «Paradies».

Das sagen alle! Im Juch konnte man auch mal schummeln. Wenn man abends zu spät dran war und man nicht durch den Security-Check wollte, konnte man auch einfach über den Zaun klettern. Wenn man schlau war, konnte man abends ausgehen oder Sachen reinbringen und niemand merkte es – oder niemanden kümmerte es.

Aber hier in diesem Gebäude ist es fast einfacher zu sagen, was sich NICHT geändert hat.

Wir betreten eine andere Baracke. Hier ist es leer. Viele kleine Zimmer, links und rechts von einem schmalen Gang. Dieser Teil wurde von den Besetzer*innen im vorgefundenen Zustand belassen. Y schliesst sich uns an.

Y: Das hier war der Kiosk. Und das war keine Küche. Also konnte nicht als Küche verwendet werden. Seht ihr? Es gab ein externes Catering. Die Kochplatten waren abgedeckt. Dieser Teil wurde als Nähatelier für die Bewohner*innen genutzt. Aber für die Nutzung musste man zahlen. Sowas wie 5 Franken für 5 Minuten. Man musste einfach super schnell sein. Und im Verhältnis zum Taggeld war der Preis einfach sehr hoch. Schaut euch um.

Wir haben dieses Bild hängen gelassen. Eigentlich haben wir fast alles so belassen, wie es war.

X: Ja, das war uns wichtig. Denn normalerweise hat man ja keinen Zutritt zu Orten, wo Menschen gefangen gehalten werden. Normalerweise ist das alles unsichtbar.

Etwas, was uns super wichtig war, über das wir viel nachgedacht haben, und mit dem wir auch gestruggelt haben war die doppelte Aufgabe, die wir uns gestellt haben: Auf der einen Seite wollten wir diesen Ort neu denken und das Regime dieses Ortes brechen, auf der anderen Seite war es uns ein Anliegen, dass das alles nicht vergessen wird. Wir wollten nicht alles zerstören oder unter den Tisch kehren, oder in jedes Zimmer Menschen einquartieren. Wir wollen eine Spur bewahren von dem, was hier passiert ist. Damit wir nicht vergessen, wozu dieser Ort erbaut wurde und was er war!

Y: Weil wir versuchen ja, diesen Ort radikal zu verändern. Es ist kein Ort mehr, an welchem Menschen gemassregelt, eingesperrt und verwaltet werden. Aber solche Orte gab es und gibt es weiterhin. Man kann hier sein und sich vorstellen, wie es war. Und dann stellt euch vor, dass die Regeln und Vorschriften für Asylzentren jedes Jahr schärfer werden. Und die Umstände immer schwieriger für geflüchtete Menschen, in der Schweiz und überall!

X: Und nicht nur die Menschen die hier lebten sagen, es sei schlimmer geworden. Auch Menschen, die hier gearbeitet haben. Dass der Juchhof ein guter Ort war, im Vergleich zu den neuen Zentren! Einmal kam ein Security-Typ vorbei, der hier gearbeitet hatte. Er hat uns erzählt, dass viele von seinen Kolleg*innen, er auch, unter Anderen, gefeuert wurden, als die Geflüchteten auf neue Asylzentren verteilt wurden. Viele haben auch gekündigt!

Y: Und der Typ meinte, es sei schon ok für ihn, dass es so gelaufen sei. Er würde um keinen Preis im Bundesasylzentrum Duttweiler arbeiten wollen. Das sei ihm zu hart.

MP: Denkt ihr, ihr habt die Bedeutung dieses Ortes verändert?

Y: Ja! Also, wie gesagt, wir möchten nicht die Vergangenheit dieses Ortes löschen oder so. Können wir auch gar nicht. Aber es gab schon Momente, wo ich gedacht habe, wir haben es geschafft: Als Menschen, die hier gewohnt hatten zurückkamen und den Ort sahen, nachdem wir ihn besetzt und verändert hatten – und dann plötzlich gern kamen und anfingen, das Juch mitzugestalten.

X: Und man sich frei bewegen konnte und mitbestimmen, was darin geschah. Der Ort, wo man so lange eingesperrt gewesen war zum eigenen Ort machen!

Wir gehen raus und setzen uns auf eine grosse Fläche mit abgewetztem Kunstrasen – der ehemalige Fussballplatz.

MP: Gab es, bevor es klar wurde, dass der Juchhof zur Baustellenerweiterung werden sollte, andere Pläne dafür?

X: Wir haben nur Gerüchte gehört. Und dann nichts mehr. Und dann kam die Ankündigung der Räumung. Das kam für uns völlig aus dem Nichts.

Y: Normalerweise muss man, wenn irgendwo etwas Neues gebaut wird, die Nachbarschaft miteinbeziehen und ein Stimmungsbild der Bevölkerung einholen darüber, was an Infrastruktur gewünscht wäre. Aber hier gibt es keine Nachbarschaft. Wir sind die Nachbarschaft. Hier gibt’s nur Büros, kalte Massenhotels, die Autostrasse…

Wenn es so weiter geht, ist Altstetten bald Stadtzentrum… Wir sitzen hier und warten auf die Stadt, die auf uns zuwächst.

X: Etwas von zynischsten, was gesagt wurde, im Zuge der Verhandlungen darüber, ob das Juch jetzt geräumt werden soll, war, von einem Politiker: Man könne hier ja kein Wohnprojekt starten, wie im Koch, oder in der Binz. Hier könne ja niemand leben, es sei zu laut. Aber, wie schon besprochen, haben hier ja über 20 Jahre lang von der Stadt verwaltete Menschen gelebt und vorher die Gastarbeiter*innen…

Y: Wenn wir hier wegmüssen, ist hier nichts mehr. Nur ein Parkplatz. Wahrscheinlich hier ein Betonmischer, hier ein LKW und dort drüben, ein Zaun.

Wir haben versucht, die Stadt mit der «Biodiversitätsmasche» zu kapern. Wir haben versucht, aussergewöhnliche Tierarten zu finden. Und es gibt hier super spezielle Eidechsen. Das ist das geheime Königreich der Zürcher Eidechsen. Aber niemand glaubt uns!

Ich hoffe, die Eidechsen werden mutieren und sich an denjenigen rächen, die sie vertrieben haben werden.

Dieses Interview wurde am 18. Mai 2020 geführt. Am 23. wurde das Juch-Areal geräumt. Jetzt ist es zu einem grossen Teil bereits abgerissen.

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