Oh girl, was für ein Weihnachtsmärchen!

von Nina Kunz
erschienen am 11. November 2019

Ein Erfahrungsbericht über Schneewittchen Beauty Queen

Das Einzige, was mir nicht gefallen hat, waren die Kinder – denn die waren alle besser angezogen als ich und das war schon ein bisschen ein Affront.

Als ich an diesem Nachmittag zur «Schneewittchen»-Premiere am Pfauen ankam, waren da nämlich gleich viele Kinder wie Erwachsene und ich musste verstohlen die Glitzertasche einer Neunjährigen bewundern, und das Fake-Fur-Cape ihrer Freundin war auch ganz toll.

Ich habe ihnen gesagt: «Schöne Accessoires». Aber sie haben mich ignoriert. Neben mir – Balkon, Reihe 2, Sitz 607, sassen dann drei weitere Girls, etwa zwölf, die alle ein Bild von Billie Eilish als iPhone-Hintergrund hatten. Ich nahm an, dass sie von ihren Kulturelite-Eltern mitgeschleppt worden waren und das Stück öde finden würden, aber sobald das Licht anging, waren sie entweder still oder stiessen schrille Jauchzer aus. Und ich tat es ihnen gleich.

Oh girl, was für ein Weihnachtsmärchen! Man sagt ja, in der Weihnachtszeit ginge es um Wünsche – und wenn ich mir eine ideale Welt wünschen könnte, wäre die Welt genauso wie in diesem Stück.

Warum?

Also da gab es einen Märchenerzähler (Lukas Vögler), der den «Piepefratzen» die Wahrheit über die Welt erzählen wollte, aber das nicht konnte, weil ihm die entsprechende Bewilligung fehlte. Meta – fand ich schon mal gut. Dann begann das Stück «Schneewittchen» mit einem cholerischen Rotkäppchen (Henni Jörissen, war sofort verliebt) – was ich noch besser fand, da ich das als Verweis auf die Remix-Kultur, die poststrukturalistische Intertextualität und die Verworrenheit der Welt verstand. Dann kam Schneewittchen (Giorgina Hämmerli), die nicht so Bock hatte, die Hausarbeit der Zwerge zu erledigen, weil sie lieber Platten auflegte («Krawall und Remmidemmi» – und sich dazu vom Kronleuchter schwang). Dann kamen: ein queerer Spiegel (Kay Kysela), eine böse Königin (Tabita Johannes), die Kate Moss zitiert («nothing tastes as good as skinny feels») – und eine Oma, die von einem Mann gespielt wird, die einen Prinzen datet (es ist aber nichts Ernstes, denn er ist etwas doof).

Ich meine: Wow.

In der Pause gab es dann nicht vergiftete Äpfel (schöne Idee!) und ich sagte zu meiner Begleitung, dass ich mir zehn Jahre Therapie und feministische Selbstfindung hätte ersparen können, wenn ich als Kind solche Dinge zu sehen bekommen hätte – anstatt der Disney-Prinzessinnen, die sich vor allem im «Unterwürfig-Sein» und im «Dünne-Taille-Haben» überboten (ausser «Mulan», die war okay).

Und meine Begleitung meinte, er habe als Kind sowas auch vermisst – aber, weil ihn die «klassische Erzählstruktur» der Märchen immer gestört habe, da er dachte: Aber die Welt ist doch viel interessanter, chaotischer und wunderbarer als diese «Es war einmal…»-Nummer.

Daher: Viel Liebe für Nicolas Stemann und sein Anti-Märchen!

In der zweiten Hälfte wurde es dann noch besser: Die Sache mit dem vergifteten Apfel wurde als Heidi-Klum-Casting-Show-Moment inszeniert, der Märchenwald (Hambacher Forst?) sollte vom kapitalistischen König abgeholzt werden – was nicht nur wegen der Umwelt ein Problem war, sondern auch weil Schneewittchen da inzwischen mit den Zwergen, dem Wolf, Rotkäppchen und ihrer Oma in einer selbstversorgenden Drei-Generationen-WG wohnte. Und Schneewittchens gläserner Sarg wurde als Metapher für seelenlose Hochhaus-Überbauungen gedacht («Glassarg 21» – mega gut).

In meiner Euphorie habe ich nach dem Stück gleich zwei Gläser Prosecco auf leeren Magen getrunken und allen die Ohren vollgequatscht mit meiner Meinung. Und die war: Dass ich es klug finde, politische Themen in ein Märchen zu packen, weil es da «Gut» und «Böse» gibt und die Welt zwar schon komplex ist, aber gewisse Dinge nicht verhandelbar sein sollten (etwa, dass Solidarität eine gute Sache ist). Zudem feiere ich die Selbstbestimmtheit der Figuren ab (die auf der Bühne immer wieder nachschlagen mussten, wie die Geschichte weitergeht und sich dann gegen das Skript entschieden).

Hater werden sagen, dieses Stück sei vegane, gender-queere Greta-Gaga. Ich werde sagen: Es ist so schön wie im Märchen!