Sprechstunde – was bisher geschah

published on 01. May 2020

Nachdem wir bis auf Weiteres alle Vorstellungen absagen mussten, haben wir eine Sprechstunde eingerichtet: Immer mittwochs und freitags, 10 bis 12 Uhr, per Telefon oder per Mail. Denn wir wollen weiterhin mit unseren Zuschauer*innen und der Stadt in Kontakt bleiben. Knapp 30 Mitarbeiter*innen aus diversen Abteilungen sind bereit für Gespräche über alles, was die Welt gerade bewegt: das Virus, den neuen Alltag, die Zukunft, das geschlossene Theater.

Letztendlich ist es für beide Seiten ein Blinddate, oder blind talk. Wer anruft, landet bei der*dem Pförtner*in. Mit wem Sie verbunden werden, bleibt eine Überraschung. Das gleiche gilt für die Emails. Und das Gleiche gilt auch für uns!

Mitarbeiter*innen berichten, was bisher geschah:

Björn Pätz, zuständig für Tour Management & International Relations, telefonierte mit einer Frau aus dem Umland, die in den letzten Jahren eigentlich den Anschluss ans Schauspielhaus verloren hat. In ihrer Studienzeit in den 60igern war sie viel im Theater, zwischenzeitlich geht sie lieber in die Oper. Sie liest jedoch unsere Newsletter und das Angebot der Sprechstunde hat sie in einem ersten Schritt zu uns zurückgeführt. Nach einem netten Gespräch und dem Austausch über Kunst und Theater hat sie sich fest vorgenommen, den Anschluss doch wieder zu suchen (Früchte des Zorns interessiere sie) – wenn es wieder möglich sein wird.


Maximilian Reichert, Schauspieler, wurde mit ganz spezifischen Fragen zu Der Mensch erscheint im Holozän konfrontiert:

  • Warum hat das Stück im Foyer begonnen?
  • Warum gab es zu Beginn eine Art Rollstuhl-Tanz?
  • Warum kam ein strombetriebenes Spitalbett vor, wo es doch «im ganzen Tal keinen Strom gab»?
  • Warum waren die Schauspieler bisweilen unter einer «Taucherglocke», so dass man sie kaum verstand?
  • Was bedeutete die Szene mit der Schulkasse?

Er hat versichert, per Mail «so gut wie möglich Antworten auf Ihre Fragen zu geben» und dann gleich betont: «Es sind auch gleichzeitig Vorschläge. Was ich an dem Regisseur Giesche mag ist: Er spricht mit seinem assoziativen Bilderwelten eine Einladung aus, selber einen Abend zu kreieren. Er lässt mehrere Deutungsebenen zu. Somit werde ich mit meinem Wissen meinen eigenen Abend bauen. Wie der Zuschauende neben mir wieder einen anderen Abend kreiert.»


Barbara Higgs, Leiterin Sponsoring und Development hatte ein anregendes, schönes Sprechstundengespräch mit einer Kanti-Schülerin (18) aus Konstanz. Diese wollte alles über diese Sprechstunde wissen: wer so anruft, und was die anderen Leute wissen wollen. Und es interessierten sie die Jugendclubs und alles, was Suna Gürler macht. Sie überlegt sich sogar, ein Jahrespraktikum bei uns zu machen.



Sophie Grossmann, Kreativdirektorin und Co-Leitung der Öffentlichkeitsarbeit sprach mit einer Einsatzleiterin der REGA, die gerade Schweizer*innen aus dem Ausland zurückholt. Vom Angebot erfahren hat sie, weil ihre Cousine es auf Facebook gepostet hat. Sie fand die Idee super und hat vor ihrer Spätschicht angerufen. Dabei hat sie u.a. erzählt, dass sie auch eine Pantomime-Ausbildung besitzt und während der Intendanz von Matthias Hartmann in zwei Familienstücken am Schauspielhaus mitgespielt hat.


Heiko Baumgarten, stellvertretender Leiter der Requisite, sprach mit einer bildenden Künstlerin, die noch nie in Berührung mit Theater war. «Sie fand unser Angebot einfach mal durchzutelefonieren so gut, dass Sie anrief und wissen wollte, was ich so mache.»

Er habe sie gefragt, wo sie jetzt gerade sei und als sie meinte im Wohnzimmer, sagte er: «sehen Sie und alles, was sich anfassen und herumtragen oder werfen lässt, ausser die Möbel, sind Requisite. Nur, dass in unserem Fall die Vase bluten und die Buchseiten eines offenen Buches auf einem Tisch sich selber umblättern können müssen, und am Ende der Fisch auf ihrem Teller noch zappeln und Sie davon ein Stück essen können sollten... All das würden wir für die Bühne recherchieren, herstellen, produzieren.»


Matthias Neukirch, Schauspieler, hatte ein Gespräch mit einem 33jährigen Schweizer, der seit ein paar Jahren in Amsterdam lebt, aber viel im Schauspielhaus war und sich über das Angebot gefreut hat. «Wir haben eine dreiviertel Stunde lang sehr intensiv über alle wichtigen Themen gesprochen: Allgemeine Lage der Corona Krise, persönliche Lage, Lage des Theaters und Gedanken über die Zukunft! Belebend für beide Seiten.»


Nico Grüninger aus dem Audience Development bekam eine Mail von einer Schülerin, die im Sozialkundeunterricht von der Aktion erfahren hatte: «Mich hat die Idee sehr fasziniert, darum würde ich Ihnen gerne ein paar Fragen zu der Aktion und allgemein zum Umgang mit der Coronakrise stellen.

  • Wie viele Menschen haben seit Beginn der Aktion von diesem Angebot «Schauspieler als Zuhörer» Gebrach gemacht?
  • Wie wirkt sich die Coronakrise auf den Alltag der Schauspieler aus?
  • Wenn es bald Lockerungen geben würde und Theater wieder öffnen dürfen, wären sie dafür oder finden sie es im Moment noch zu früh?

Ich finde es toll, dass Sie so eine Aktion gestartet haben und würde mich sehr über eine baldige Antwort freuen!»


Philine Erni, Pressesprecherin und Co-Leitung der Öffentlichkeitsarbeit, hat per Mail mit einem langjährigen Schauspielhaus-Besucher aus Hamburg korrespondiert. Er komme seit Jahrzehnten immer wieder einige Tage nach Zürich - «nie ohne einen Besuch im Kunsthaus und im Schauspielhaus.» Jetzt sei er «wegen der Eskapaden eines gewalttätigen Virus eingesperrt in die ausufernden Gedanken und Assoziationen.» Nach einem Mailaustausch über Theatererinnerungen und erinnerungswürdiges Theater, über Inszenierungen von Prosatexten, im guten wie im schlechten Sinne und über Literatur, verabschiedete er sich mit folgender Prognose: «Ich verspreche Ihnen, Sie zukünftig nicht mit weitschweifigen Mitteilungen zu nerven. Dies nur als vorauseilendes und beschwichtigendes Versprechen, denn wenn Ihr vorzügliches Sprechstundenmodell einmal so richtig in Fahrt kommt, wird Ihre Zeit ohnehin sehr knapp.»